Wie wurde der TV Unterboihingen zum Pokalschreck ?
(Aufgeschnappt von Wolfram Straub)

Kommt man in Gesprächen auf die großen Erfolge der Fußballer des TV Unterboihingen in den 70iger Jahren zurück, fällt in den meisten Sätzen das Wort „Pokalschreck“ auf. Dass dies nicht von ungefähr kommt, möchte der Chronist anhand von einigen Beispielen und kleinen Randbemerkungen in diesem Bericht aufzeigen.
Begonnen hatte es eigentlich schon am 8. Juni 1973, als die Mannschaft um Trainer Dieter Necker nach Siegen über Salach, Wendlingen und Neuffen ins A-Klassenpokalfinale in Frickenhausen gegen Dettingen einzog, das nach einer dramatischen Schlacht nach 120 Minuten noch mit 4:3 gewonnen wurde, obwohl die SFD bis zur 60. Minute noch mit 3:1 in Führung lag. Am 20. Juni 1973, im darauffolgenden Bezirkspokalendspiel gegen den Wolfschlugen sah man erneut eine großartig auftrumpfende Unterboihinger Mannschaft, die mit einem 3:1 Erfolg den Grundstein für die erstmalige Teilnahme im WFV-Pokal legte.

In der ersten Runde des WFV-Pokals, am 4. August 1973, fegte der TV Unterboihingen auf eigenem Platz den damaligen Zweitamateurligisten FV Faurndau mit 7:0 weg und zeigte wieder einmal, dass ein Pokalspiel doch seine ganz eigenen Gesetze hat.
Ersatzgeschwächt musste der TVU eine Woche später in der 2. Runde zum Erstamateurligisten FC Eislingen reisen und was wohl die kühnsten Optimisten wirklich nicht erwarten konnten, traf ein. Die Rotweißen verließen mit 4:2 das Eislinger Gelände. In diesem Spiel ging ein neuer Stern mit Flügelflitzer Hans Striegel am TVU - Himmel auf.
Ein Comeback feierte in diesem Spiel Norbert Großmann, der seine Laufbahn eigentlich schon beenden wollte, bedingt durch hartnäckiges Verletzungspech.
Das wohl sensationellste Ergebnis in der 3. Runde des WFV - Pokals konnten alle Sportzeitungen am 13. Oktober 1973 berichten, gelang es doch den Mannen um den leider zu früh verstorbenen TVU – Trainer, Dieter Necker, mit dem SSV Reutlingen einer etablierten Truppe aus der damaligen Schwarzwald-Bodenseeliga, auf eigenem Gelände mit 2:0 zu schlagen. Nach dem Schlusspfiff spielten sich auf dem Platz unbeschreibliche Szenen ab. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und bejubelten die Treffer von Hans Striegel und Dieter Necker in den letzten zwanzig Spielminuten.
1000 Fans sorgten außerdem für ein strahlendes Gesicht von Platz-Kassier „Schipper“ Benz.
In der Punkterunde setzten sich die Erfolge der Rotweißen weiter fort, man war in 17 Spielen
hintereinander ungeschlagen, verlor aber ausgerechnet am 6. Januar 1974 im Halbfinale des Bezirkspokals als Pokalverteidiger auf eigenem Geläuf gegen die SF Wernau. Eine Woche später erlegten die „Großmänner“ denselben Gegner im Punktekampf mit 5:0.
Die 4. Runde im WFV-Pokal hatte es in sich, denn die Auslosung bescherte dem TV Unterboihingen zwar ein Auswärtsspiel, aber mit dem Erstamateurligisten und Nachbarn FV 09 Nürtingen einen Gegner erster Güte. Fahnen, Raketen, eine tolle Kulisse von 1200 Zuschauern flößten auch dieses Mal den Rotweißen keinen Respekt ein – im Gegenteil – dem Nachbarn wurde mit einem verdienten 2:0 die „Hacken“ gezeigt und den TV Unterboihingen war urplötzlich unter den letzten Acht in Württemberg. Ein Verdienst auch der Fans, die das Auswärtsspiel ihrer Roten zu einem echten Heimspiel machten. Spielmacher Helmut Großmann hatte mit zwei wunderschönen Treffern den Gastgebern den k.o. verpasst.
Nach einer guten Leistung, mit viel Pech im Abschluss, kam am 15. Mai 1974 in der Viertelfinalbegegnung auf eigenem Platz das „Aus“ gegen die Amateure des VfB Stuttgart vor 1000 Zuschauern, denen man nach einem Goldmann-Gegentor knapp mit  1:2 unterlag, aber die Farben im Bezirk glänzend als „Newcomer“ vertreten konnte.

Auf ein Neues hieß es für die Unterboihinger im Bezirkspokal am 18. August 1974 zu Hause gegen den FC Uhingen. Wieder so eine Serie wie im Vorjahre? Die Fans warteten praktisch darauf, obwohl sich gerade solche Erfolge nicht immer wiederholen lassen. In der 2. Runde kam das „Aus“ für den Nachbarverein TSV Oberboihingen, der vor über 700 Zuschauern zuhause die Segel streichen musste.
Zwischendurch absolvierten Dieter Neckers Schützlinge, Mitte der Runde gegen die Profis des VfB Stuttgart ein Freundschaftsspiel, das die Mannen um Keeper Gerhard Heinze mit recht viel Mühe, letztendlich aber zu hoch, mit 7:3 gewannen.
Die vielen Punkte- Freundschaftsspiele und Turniere (man war inzwischen wer!!), schienen Anfang des Jahres 1975 dem TVU in die Knochen gefahren zu sein, denn waren es knapp ein Jahr zuvor die Sportfreunde aus Wernau, so legten dieses Mal die „Kehlenberger“ den TVU auf eigenem Gelände mit einem 2:1 im Bezirkspokal herein und viele befürchteten durch die vielen Verpflichtungen schon einen Einbruch der Unterboihinger Elf, die nach vier Vize-Meisterschaften hintereinander unter ziemlichen Druck stand, da von der zahlreichen Anhänger endlich der Aufstieg erwartet wurde.
Dies klappte dann in der letzten Mai-Woche. 55 Jahre nach Gründung der Abteilung war es geschafft – Unterboihingen stand Kopf – die Kicker hatten mit einem imponierenden Torverhältnis von 105:42 und 52:12 Punkten den begehrten Aufstieg in die damalige 2. Amateurliga perfekt gemacht.
Was in jenen Tagen gefeiert wurde, wissen bestimmt noch alle, die dabei waren, es artete in regelrechten „Stress“ aus.

Bevor es in der Punkterunde losging, musste erst wieder das Kapitel „Pokal“ aus dem Schrank gezogen werden, denn mit dem Erstamateurligisten SV Göppingen am 2. August 1975 auf eigenem Platz wartete ein unangenehmer Gegner auf die Rotweißen. Der TVU musste außerdem in diesem Match auf so wichtige Leute wie Bruno Großmann und Hans Striegel verzichten. Allen Unkenrufen zum Trotz riss sich die ersatzgeschwächte Truppe von Dieter Necker abermals am Riemen und nach einem Supertor von Norbert Benz zwei Minuten vor dem Abpfiff waren die 700 Fans erneut aus dem Häuschen.
Acht Tage später brachte die zweite Runde in Balingen mit der dortigen TSG einen ziemlich unbekannten Gegner und wenn einmal dem „Pokalschreck“ die Glücksgöttin lächelte, so war es in diesem Spiel, das durch das einzige Tor von Bruno Großmann nach zwölf Minuten den TVU zum zweiten Male nach einem Jahr in die dritte Runde führte und man im Lager der Rotweißen wieder auf einen Gegner „höheren“ Kalibers hoffen durfte.
Trotz der Länderspiel - Übertragung gegen Frankreich fanden sich am 11. Oktober 1975 noch rund 300 Zuschauer am Sportgelände am Neckar ein, um den damaligen Gegner aus der ersten Amateurliga, die Germania aus Bietigheim unter die Lupe zu nehmen.
Gecoacht vom früheren VfB-Spieler Hans Eisele wurde es ihnen von einer kompakt spielenden TVU-Truppe mehr als schwer gemacht und nach 120 dramatischen Minuten standen die Gäste mit leeren Händen da, denen Bruno und Helmut Großmann mit ihren Treffern den Garaus gemacht hatten. Durch kompromissloses Spiel in der Abwehr, risikolos im Mittelfeld, gescheites Ballhalten und auf Konterchancen lauernd war man wie vor zwei Jahren erneut in der Runde der letzten 16 württembergischen Fußballclubs.
Sensationell mutete dann die Auslosung zur nächsten Runde an, denn wieder mussten die Necker-Schützlinge Neckar aufwärts reisen und wiederum zum Lokalrivalen FV09 Nürtingen.
Nach dem Abstieg aus dem Amateurligaoberhaus kam für den 09 wie schon vor zwei Jahren das überraschende Aus, die Rotweißen polierten ihren Ruf als Favoriten- und Pokalschreck neu auf und stellten durch ihren 3:1 Sieg wieder einmal die Rangordnung im Großkreis Esslingen auf den Kopf.
Es war kein Spiel im üblichen Sinn und schon gar nicht für schwache Nerven. Dafür stand zu viel Prestige auf dem Spiel. Kleine, hochgespielte Ressentiments zwischen den beiden Kontrahenten hatten die Stimmung vor dem mit Spannung erwarteten Machtkampf auf den Siedepunkt gebracht.
Die Platzherren waren anfangs besser im Bilde und gingen durch eine „Bogenlampe“ aus gut 45 m, die als Flanke gedacht war, durch Manfred Mettang in Führung. Der TVU kam erst in den zweiten 45 Minuten so richtig auf Touren. Man hatte die Rolle des Gehetzten und Gejagten völlig abgelegt und machte sich nun mit ungeheurer Vehemenz und Wucht auf die
Verfolgung, angetrieben von den beiden jetzt überragenden Mittelfeldspielern Helmut Großmann und Theo Stetter. Ihres Sieges offenbar zu sicher, vertändelte man beim 09 die Zeit zu nutzlosen Spielereien, während der TVU strebsam auf das Ziel „alles oder nichts“ zueilte. Die pausenlosen Flankenläufe von Norbert Großmann und Hans Striegel zermürbten die immer brüchiger werdende Deckung der Einheimischen. Unterboihingen übernahm die Mittelfeldherrschaft und zwang den Gegner immer mehr auf Rückwärtskurs. Bruno Großmanns Ausgleich im dritten Versuch (zunächst war der Ball vom Außenpfosten ins Feld zurückgeprallt) leitete in der 76. Minute den totalen Umschwung ein. Die Dauerbelagerung endete mit einem Traumtor Norbert Großmanns in der 84. Minute und kaum eine Minute später machte sich Helmut Großmann alleine auf, spielte alles aus, was sich ihm entgegenstellte und vollendete unter riesigem Jubel des TVU - Anhangs zum  alles entscheidenden 3:1. Der Kampf um die Vorherrschaft im Raum Esslingen/Nürtingen war eindeutig zu Gunsten des TVU entschieden,
Glück hat nur der Tüchtige. Und weil der TV Unterboihingen als Aufsteiger in die 2. Amateurliga in dieser Saison besonders tüchtig war, hatte er dann auch bei der Auslosung des Viertelfinales im WFV - Pokal viel Glück! Denn ohne im Viertelfinale überhaupt antreten zu müssen, qualifizierte sich der TVU automatisch für das Halbfinale und nahm somit an der Runde 76/77 am DFB-Pokal teil. „Diesen 4. Mai erklären wir zum Feiertag“, jubelte damals Fußballchef Rolf Strähle, denn das Glücklos sah so aus:
Der TV Unterboihingen bekam vom WFV als Gegner im Viertelfinale 07 Ludwigsburg zugeteilt. Doch weil die SpVgg Ludwigsburg an den Aufstiegsspielen zur 2. Liga Süd teilnahm (mit Bubi Röcker), durfte sie – so wollten es die Durchführungsbestimmungen des WFV – am Pokalwettbewerb nicht mehr teilnehmen. Das gleiche Schicksal ereilte damals auch den BSV Schwenningen (Schwarzwald-Bodenseeliga) und Faurndau war, wie der TVU, eine Runde weiter.
Am 27. Mai 1976 machte der TV Unterboihingen im Spiel gegen den Zweitliga-Aufsteiger VfR Heilbronn ein Märchen wahr und das wohl prominenteste Opfer blieb auf der Strecke. Die 1200 Zuschauer waren jedenfalls total aus dem Häuschen. Mancher klopfte sich nachdenklich nach 120 Minuten und einem sensationellen 6:2 n.E. an die Brust: So langsam wird’s beängstigend. Programmgemäß hatte es begonnen, die Gäste gingen bereits nach 18 Minuten in Führung. Die Rotweißen antworteten zwar mit wütenden Gegenattacken, denen aber in der Anfangsphase die sachliche Abgeklärtheit fehlte, die der technisch bessere Gegner an den Tag legte. Erst Sekunden vor dem Halbzeitpfiff von Schiedsrichter Joos aus Stuttgart stellte der überall auftauchende Theo Stetter mit dem 1:1 Ausgleich die Weichen in Richtung Sieg. Im weiteren Verlauf gelang keiner Mannschaft ein weiterer Treffer, alle hatten sich verausgabt und nichts mehr hinzuzusetzen. Da zudem in der Verlängerung jeder darauf bedacht war, nur ja kein Tor mehr hinzunehmen, wurden die sich zuvor häufenden Torszenen Mangelware. Es blieb beim 1:1. So musste ein Elfmeterschießen über den Sieger befinden. Angesichts der Klasse von Gästekeeper Seyffer,  (wechselte zu Darmstadt 98) gab man hier den Einheimischen wenig Chancen. Doch wie so oft, hatte man hier die Rechnung ohne den Wirt, nämlich ohne TVU - Torwart Gerhard Hermann gemacht.
Dieser hielt, sage und schreibe, vier der fünf Heilbronner „Strafstöße“ und wurde zum gefeierten Helden des Tages. Beim fünften hatte er auch noch die Hände im Spiel. Auf der anderen Seite musste der zuvor glänzend haltende Torwart Seyffer die Elfmeter von Erwin Kimmerle, Bruno Benz, Bruno Großmann, Norbert Großmann sowie von Theo Stetter allesamt passieren lassen.
Der TVU hatte somit „im Nachsitzen“ alles das nachgeholt, was er zuvor versäumte. Die Chancen waren nämlich schon in der regulären Spielzeit vorhanden. Diese hätten eigentlich ausreichen müssen, um den fraglos verdienten Erfolg vorher sicherzustellen.
Das Pokalfinale um den württembergischen Fußballpokal war erreicht, ein Verdienst der ganzen Mannschaft mit den Ersatzspielern und ihrem engagierten und tollen Trainer Dieter Necker, für den es am Sonntag das letzte Spiel seiner Ära beim TVU sein sollte.
Endspielgegner Ende Mai war also in Göppingen die Mannschaft vom SSV Ulm 1846, die beim FV Faurndau sicher mit 6:1 siegte.

Der TVU spielte damals mit folgenden Spielern: Hermann, H. Großmann; T. Stetter, Goldmann, S. Großmann, R. Großmann, B. Großmann, L. Großmann, N. Großmann, B. Benz,  N. Benz, Abel, E. Stetter, Durst, Thiergärtner, Dreher, König, Striegel, Necker, Pflüger, Klein.